“Glück ist ein wichtiger Faktor – das ist schwer zu verdauen”
Martin Turbet war drei Jahre lang Mitglied des NFS PlanetS und erhielt in dieser Zeit ein Marie-Curie-Stipendium der EU. Nun wurde er für eine feste Stelle als CNRS-Forscher in Paris ausgewählt. Im Interview spricht er über seine multidisziplinäre Forschung, die Rolle des Glücks in der Wissenschaft und gibt dem Nachwuchs Karrieretipps.
NFS PlanetS: Wodurch wurde Ihr Interesse an Ihrem heutigen Fachgebiet geweckt?
Martin Turbet: Als Kind wollte ich Mathematiker werden und interessierte mich nicht wirklich für Astronomie. Erst an der Universität begann ich mich dafür zu interessieren. Aber ich machte mir auch Sorgen über die Entwicklung unserer Atmosphäre und wollte mehr darüber erfahren. Deshalb habe ich mich für Forschungsthemen im Grenzbereich zwischen Astronomie, Geologie, Meteorologie und Klimawissenschaft entschieden – nämlich die Simulation der Atmosphäre und des Klimas des Mars und von Planeten in anderen Sternensystemen…
…was Sie unweigerlich zum NFS PlanetS geführt hat?
Meine bisherige Arbeit war sehr theoretisch, daher wollte ich auch Einblicke in die Beobachtungsaspekte der Forschung gewinnen. Und einer der besten Orte, um dies zu tun, war das Genfer Observatorium. Dort wurden grosse Fortschritte bei der Charakterisierung der Atmosphären von Exoplaneten erzielt. So nahm ich Kontakt zu David Ehrenreich auf, der beschloss, mich für ein NFS-Projekt einzustellen. Bald darauf erhielt ich ein Marie-Curie-Stipendium und verbrachte die meiste Zeit seit Januar 2019 damit, bis ich mit Christophe Lovis an einem Projekt arbeitete, das sich mit der Wissenschaft des zukünftigen Instruments RISTRETTO befasste.
Worum geht es dabei genau?
Mit RISTRETTO wollen wir unter anderem die Atmosphäre des Exoplaneten Proxima b charakterisieren – eines Exoplaneten, der den uns am nächsten gelegenen Stern neben der Sonne umkreist: Proxima Centauri. Der Planet ist nicht nur relativ nah an uns dran, sondern wir vermuten auch, dass er möglicherweise Ozeane aus flüssigem Wasser besitzt, was ihn sehr interessant macht. Meine Aufgabe ist es, die künftigen Beobachtungen in den richtigen Zusammenhang mit den theoretischen Simulationen von Exoplanetenatmosphären zu stellen, damit wir die richtigen Schlüsse aus unseren Daten ziehen können.
Wie kann man das Klima eines Planeten modellieren, der viele Lichtjahre entfernt ist und gerade noch detektiert werden kann? Auf der Erde haben wir ja unzählige Messungen der Atmosphäre, die uns helfen, ein Modell zu erstellen.
Es gibt einige Dinge in der Atmosphäre der Erde und anderer Planeten, die auf physikalischen oder chemischen Prozessen beruhen. So zum Beispiel die Kondensation von Wasser oder die Bildung von Wolken. Wir gehen davon aus, dass diese Dinge auf anderen Planeten ganz ähnlich ablaufen. Wir wissen, dass dies auf die Planeten in unserem Sonnensystem zutrifft, für die wir recht gute Daten aus den Weltraumforschungsmissionen der letzten Jahrzehnte haben. Zusammen mit einigen anderen Informationen, wie der Temperatur und der Zusammensetzung des Planeten, bietet uns dies eine Grundlage für ein rudimentäres Modell der Atmosphären von Exoplaneten. Aufgrund unserer begrenzten Informationen über diese Planeten – insbesondere in Bezug auf ihre Atmosphären – erstellen wir nicht ein einziges Modell, sondern verschiedene Modellszenarien, die auf verschiedenen Zusammensetzungen basieren, und vergleichen sie dann mit (zukünftigen) Beobachtungen, um das realistischste Szenario zu finden. Dies werden uns die Beobachtungen mit der nächsten Generation von Instrumenten, wie dem James Webb Space Telescope, dem Extremely Large Telescope in Chile oder RISTRETTO, ermöglichen.
Könnten Sie ein Beispiel dafür geben, wie sowas aussehen könnte?
Eine Beobachtung könnte zum Beispiel bestätigen, dass die Atmosphäre eines Planeten von CO2 dominiert wird und uns Aufschluss über die Atmosphärenschichtung und die Winde geben, die dort auftreten. Für einige riesige Gasplaneten, die sich sehr nahe an ihren Sternen befinden, ist dies bereits heute möglich. Aber für felsige Exoplaneten in der bewohnbaren Zone um ihren Stern – wo es flüssiges Wasser geben könnte – können wir derzeit nicht einmal sagen, ob sie eine Atmosphäre haben oder nicht.
Das muss sich also noch einiges tun.
Ja, aber ich bin optimistisch, was die Möglichkeiten angeht, die diese neuen Instrumente bieten.
Apropos Möglichkeiten: Wie würden Sie sagen, haben Sie vom NFS und seinem nationalen Netzwerk profitiert?
Wegen der Coronavirus-Pandemie war es ziemlich schwierig, die von mir geplanten Kooperationen auszubauen. Ich habe sehr von den Generalversammlungen im Januar 2019 und 2020 profitiert, wo ich mit zahlreichen Bernern wie Christoph Mordasini oder Kevin Heng diskutiert habe. Aber dann mussten einige Pläne, die wir gemacht hatten, wie zum Beispiel Besuche von Doktoranden, abgesagt werden. Es ist wirklich schwierig, neue Projekte zu lancieren, ohne dass man sich tatsächlich zusammensetzen und diskutieren kann.
Das gehört nun hoffentlich der Vergangenheit an. Sie verlassen den NFS, nachdem Sie eine feste Stelle am französischen Nationalen Zentrum für wissenschaftliche Forschung (CNRS) in Paris erhalten haben.
Das ist richtig. Ich hatte das Glück, in einem Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, bei dem ich mein Forschungsprojekt vorgestellt habe. Glücklicherweise bemüht sich das CNRS, junge Forscher einzustellen, während man in anderen Ländern in der Regel mehrere Postdocs absolviert, bevor man eine Festanstellung erhält.
Warum wurden Sie ausgewhält? Was würden Sie heutigen Doktoranden empfehlen, um ihre Chancen auf eine solche Stelle zu erhöhen?
Ich hatte grosses Glück. Die typische Annahmequote liegt bei nur wenigen Prozent, obwohl die meisten Bewerber hervorragende Projekte vorschlagen und alle erforderlichen Qualifikationen mitbringen. Jetzt bin ich sehr froh, dass ich die Stelle bekommen habe, aber davor war ich ziemlich frustriert – wie viele andere auch. Ich wünschte, jemand hätte mir zu Beginn meiner Laufbahn gesagt, wie schwierig es sein kann, in der Wissenschaft Karriere zu machen. Glück ist vielleicht der wichtigste Faktor. Das ist schwer zu verdauen.
Ein weiterer Faktor mag die Multidisziplinarität meiner Forschung gewesen sein. Da sie an der Schnittstelle zwischen Geophysik, Astronomie und Klimawissenschaft liegt, konnte ich mich auf verschiedene Stellen bewerben und so meine Chancen erhöhen. Viele meiner Kollegen, auch innerhalb des NFS, konnten sich nur auf Stellen in der Astronomie bewerben.
Multidisziplinarität scheint ein neuer Trend in der Wissenschaft zu sein. Würden Sie dem zustimmen?
Nach meiner Erfahrung und der meines Umfelds ist Multidisziplinarität ein wichtiges Argument bei der Beantragung von Forschungsgeldern. Aber es muss ein Gleichgewicht herrschen. Nicht jedes Problem kann durch Multidisziplinarität gelöst werden. Das hängt auch von der Reife des Fachgebiets ab. In der Exoplanetenforschung befinden wir uns meiner Meinung nach in einer Ära der Multidisziplinarität. In etwa einem Jahrzehnt werden wir genug über Exoplaneten und ihre Atmosphären wissen und mehr spezialisierte Leute brauchen. Aber im Moment geht es vor allem bei felsigen Exoplaneten darum, die verschiedenen Fachkenntnisse in Physik und Chemie zu bündeln, um Theorien zu vereinheitlichen und Fortschritte zu erzielen.
Sollten also junge Forschende, die sich mit felsigen Exoplaneten beschäftigen, ihre Fachkenntnisse diversifizieren, um ihre Chancen auf eine akademische Karriere zu erhöhen?
Das ist schwer zu sagen, denn das Feld bewegt sich auch sehr schnell. Es hängt von der genauen Frage ab, an der sie arbeiten. Vielleicht wäre es besser, wenn sie versuchen würden, ihr spezifisches Fachwissen auf verschiedene Bereiche anzuwenden. Auf jeden Fall: Es gibt keinen Königsweg zu einer festen Stelle. Der beste Rat, den ich geben kann, ist vielleicht dieser: Seien Sie sich bewusst, dass Glück eine grosse Rolle dabei spielt, ob es klappt oder nicht. Es ist schwer vorherzusehen, welches Fachwissen wann und wo benötigt wird. Versuchen Sie also nicht, einen Plan dafür aufzustellen, sondern tun Sie einfach, was Ihnen gefällt. Auf diese Weise werden Sie sich nicht zu sehr ärgern, wenn es nicht klappt, weil Sie Ihre Zeit mit etwas verbracht haben, das Ihnen gefällt.
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