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Neue Erkenntnisse zur Entstehung der Erde

Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der ETH Zürich und des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) PlanetS schlägt eine umfassende neue Theorie für die Entstehung der Erde vor. Ihre Ergebnisse könnten auch helfen zu verstehen, wie andere Gesteinsplaneten entstanden sind – im Sonnensystem und anderswo.

Künstlerische Darstellung der sich bildenden Erde – links aus chondritischen Asteroiden, rechts aus Planetesimalen. Credit: Tobias Stierli / flaeck.ch

Die Erde wird seit Jahrtausenden erforscht. Unzählige Satelliten beobachten täglich ihre Oberfläche und detaillierte Untersuchungen haben ihre tiefsten Geheimnisse gelüftet. Dennoch bleiben einige überraschend grundlegende Fragen über unseren Heimatplaneten bestehen. Eine davon betrifft seine Entstehung. Anhand von Laborexperimenten und ausgeklügelten Computersimulationen hat ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der ETH Zürich und des Nationalen Forschungsschwerpunkts (NFS) PlanetS in einer neues Licht auf diesen Prozess geworfen. Ihre Studie wurde in der Fachzeitschrift Nature Astronomy veröffentlicht.

ine unerklärliche Diskrepanz

Paolo Sossi ist Assistenzprofessor für experimentelle Planetologie an der ETH Zürich und assoziiertes Mitglied des NFS PlanetS. Bild: zVg

“Die vorherrschende Theorie in der Astrophysik und Kosmochemie besagt, dass die Erde aus sogenannten chondritischen Asteroiden entstanden ist. Das sind sehr primitive, relativ kleine Blöcke aus Gestein und Metall, die sich früh im Sonnensystem gebildet haben”, erklärt der Hauptautor der Studie, Paolo Sossi, Professor für experimentelle Planetologie an der ETH Zürich und assoziiertes Mitglied des NFS PlanetS. “Das Problem an dieser Theorie ist, dass Messungen von Meteoritenproben solcher Asteroiden gezeigt haben, dass keine Mischung von Chondriten die exakte Zusammensetzung der Erde eindeutig erklären kann. Diese ist wesentlich ärmer an leichten, flüchtigen Elementen wie Wasserstoff und Helium”, so Sossi.

Zwar versuchten Forschende diese Diskrepanz im Laufe der Jahre durch verschiedene Hypothesen zu erklären – etwa durch, dass Kollisionen zwischen den Objekten, aus denen sich später die Erde bildete. Diese hätten enorme Wärmemengen erzeugt, welche die leichten Elemente verdampft und den Planeten so in seiner heutigen Zusammensetzung zurückgelassen hätten.

Doch neuere, ausgefeiltere Messungen – nämlich der isotopischen “Fingerabdrücke” der Elemente der Erde – liessen solche Theorien unplausibel werden, wie Sossi erklärt: “Isotope sind Atome, die die gleiche Anzahl von Protonen in ihren Kernen haben, sich aber in der Anzahl der Neutronen unterscheiden. Isotope mit weniger Neutronen sind leichter. Daher wären sie im Laufe der Erdgeschichte einfacher verdampft und aus der heranwachsenden Erde entwichen, so dass heute weniger von ihnen auf der Erde verblieben wären. Hätte es also in der Erdgeschichte tatsächlich eine beträchtliche Verdampfung gegeben, hätten die Isotopenmessungen dies gezeigt – doch das haben sie nicht.”

Kurz gesagt: die Erde scheint eine Zusammensetzung zu haben, die sich von allen derzeit in den Meteoritenaufzeichnungen vorhandenen Chondriten unterscheidet.

 

Ein kosmischer Schmelztiegel

Um die Wahrheit hinter der Entstehung unseres Heimatplaneten zu finden, mussten die Forschenden daher nach anderen Lösungen suchen. “Aufgrund dynamischer Planetenentstehungsmodelle gehen wir davon aus, dass sich Planeten nach und nach bilden und von kleinen Körnern zu kilometergrossen Planetesimalen heranwachsen, indem sie durch ihre Anziehungskraft immer mehr Material ansammeln”, sagt Sossi. Wie Chondriten sind Planetesimale kleine Körper aus Gestein und Metall. Aber im Gegensatz zu Chondriten wurden sie ausreichend erhitzt, um sich in einen metallischen Kern und einen felsigen Mantel zu differenzieren. “Ausserdem könnten Planetesimale, die sich in verschiedenen Gebieten um die junge Sonne oder zu verschiedenen Zeiten gebildet haben, sehr unterschiedliche elementare Zusammensetzungen aufweisen”, erklärt Sossi. Doch könnte die zufällige Kombination verschiedener Planetesimale tatsächlich zu einer Zusammensetzung führen, die derjenigen der Erde entspricht?

Um dies herauszufinden, führte das Team hochmoderne Simulationen der Planetenentstehung durch, bei denen Tausende von Planetesimalen aufgrund gravitativer Wechselwirkungen im frühen Sonnensystem miteinander kollidierten. Indem sie die Zusammensetzung der Körper im Laufe der Zeit verfolgten, zeigten diese Simulationen, die die gegenwärtige Anzahl, Lage und Masse der vier Gesteinsplaneten (Merkur, Venus, Erde und Mars) reproduzieren, dass sich eine reichhaltige Mischung vieler verschiedener solcher Planetesimale tatsächlich zu der Zusammensetzung der Erde summieren könnte. Sie zeigen sogar, dass die Zusammensetzung der Erde durch das statistisch wahrscheinlichste Ergebnis dieser Simulationen gegeben ist, basierend auf der Mathematik des Gesetzes der grossen Zahlen (in diesem Fall der großen Anzahl von Planetesimalen).

 

Eine Blaupause für andere Planeten

“Auch wenn wir es vermutet hatten, war das Ergebnis für uns sehr bemerkenswert”, erinnert sich Sossi. “Wir haben jetzt nicht nur einen Mechanismus, der die Entstehung der Erde erklärt, sondern auch eine Referenz, um die Entstehungsmodelle anderer terrestrischer Planeten zu kalibrieren”, sagt der Forscher. Damit könnte man zum Beispiel dazu verwenden um vorhersagen, wie sich die Zusammensetzung des Merkurs von jener anderer Gesteinsplaneten unterscheidet. Oder um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche Art von felsigen Exoplaneten andere Sterne umkreisen könnten.

“Diese Studie zeigt meiner Meinung nach auch, dass es von Vorteil ist, sowohl die Dynamik als auch die Chemie der Planetenbildung zu berücksichtigen. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis dazu beiträgt, eine engere Zusammenarbeit zwischen Experten aus beiden Bereichen zu initiieren, die der Planetenforschung insgesamt zugutekommt”, so Sossi abschliessend.

Angaben zur Publikation: Stochastic accretion of the Earth, Paolo A. Sossi, Ingo L. Stotz, Seth A. Jacobson, Alessandro Morbidelli and Hugh St.C. O’Neill, Nature Astronomy, 2022

DOI: 10.1038/s41550-022-01702-2

Categories: News

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