«Wir werden grosse Weltraummissionen brauchen»
Seit dem 1. Juni 2019 ist Sascha Quanz an der ETH neuer Professor für Exoplaneten und Habitabilität. «Ich freue mich, dass wir nun voller Elan loslegen können, auch innerhalb von PlanetS», sagt Sascha Quanz, der neu auch dem Vorstand des Nationalen Forschungsschwerpunkts angehört.
PlanetS: Sie haben schon bisher während fast zehn Jahren an der ETH Zürich geforscht. Was sind Ihre Ziele als Professor?
Sascha Quanz: Wir haben Grosses vor! Ich möchte mich nach dem ultimativen Ziel ausrichten, das mich auch persönlich antreibt. Es geht darum, die kleinen, terrestrischen Exoplaneten in Nähe unserer Sonne zu finden, zu charakterisieren und zu schauen, ob sie bewohnbar sind oder ob es vielleicht sogar Indikationen für Leben gibt. Zwar erwähnen viele Forschungsgruppen dieses Ziel, aber wir wollen versuchen, es wirklich konsequent zu verfolgen, wenn wir Projekte beginnen oder neue Doktorierende und Postdoktorierende anstellen. Heute lässt sich dieses Ziel noch nicht erreichen und wir werden das auch nicht alleine mit einer Forschungsgruppe hinbekommen, aber wir können eine Roadmap entwickeln, die uns hinbringt, und Puzzleteile beitragen, die ins Bild vom grossen Ziel hineinpassen. Dazu gehört die weitere Entwicklung von Instrumenten für jetzige Teleskope. Und auch das ELT, das nächste bodengebundene Grossteleskop, spielt eine wichtige Rolle. Im Rahmen des METIS-Instruments sind wir hier involviert, was sehr wichtig ist.
Was erhoffen Sie sich vom ELT, dem «Extremely Large Telescope» der ESO, das nach 2025 seinen Betrieb aufnehmen soll?
Wir wissen ziemlich genau, was mit dem ELT möglich sein wird, nämlich fundamental wichtige erste Schritte in Richtung der oben genannten Ziele. Von einer Handvoll terrestrischer Exoplaneten könnte es uns gelingen, ein Bild zu machen und ggf. sogar erste Hinweise über die Existenz einer Atmosphäre zu bekommen. Auch das James-Webb-Weltraumteleskop könnte nach Atmosphären bei einer vergleichbaren Zahl von kleinen Exoplaneten suchen. Aber die Zahl dieser Planeten wird insgesamt gering bleiben. Und auch das Potenzial, sie wirklich zu charakterisieren, wird immer limitiert sein. Das heisst, wir müssen weitere Entwicklungen betreiben, andere Instrumente bauen oder grösser denken, wenn wir verstehen wollen, wie häufig Planeten wirklich bewohnbar sind. Das wird letztlich nur vom Weltraum aus funktionieren. Wir werden grosse Weltraummissionen brauchen, wenn wir Dutzende von terrestrischen und potentiell bewohnbaren Planeten finden und charakterisieren möchten.
Die USA sind schon einen Schritt weiter und haben Konzepte für grössere Missionen vorgelegt. In Europa sollten wir uns fragen, ob wir da aufspringen oder selber etwas auf die Beine stellen wollen. Ich würde eine Mission unheimlich gern innerhalb von Europa aufgleisen, nicht in Konkurrenz zu den USA, sondern komplementär.
Eine grosse Weltraummission wird sehr teuer sein. Lässt sich ein solches Projekt überhaupt finanzieren?
Ich denke, die Antwort kann „ja“ sein. Vielleicht lassen sich die Mittel nicht auf dem klassischen Weg wie bisher über die Agenturen beschaffen. Vielleicht muss man nach neuen Partnerschaften suchen, auch in der Privatwirtschaft. Es gibt viele, sehr reiche Privatleute, die mittlerweile stark im Raumfahrtgeschäft mitmischen. Man sollte aber nicht zuerst auf Geldsuche gehen, sondern es andersherum anpacken: Welche Forschung wollen wir machen? Welche Fragen wollen wir wirklich beantworten? Und was brauchen wir dazu? Erst wenn wir das verstanden haben und überzeugt sind, sollten wir schauen, wie wir unsere Vorstellungen umsetzen können. Dafür ist es jetzt noch zu früh. Ich bin aber optimistisch, dass die Wissenschaft letztlich überzeugend genug ist.
Was ist der nächste Schritt?
Ideen für solche Weltraummissionen gab es schon vor 15 Jahren bei NASA und ESA. Sie wurden damals abgesagt, unter anderem weil man kaum etwas über Exoplaneten wusste. Dies hat sich inzwischen deutlich geändert: Wir wissen, dass es dort draussen Tausende von Planeten gibt, wir kennen ungefähr die Verteilung der Grösse. Das heisst, man kann heute viel besser quantifizieren, was man von einer solchen Mission erwarten würde. Nun muss man schauen, wo man damals in der Technologie-Entwicklung stehen geblieben ist. Ich kann mir gut vorstellen, dass wir in den Labors, die wir jetzt bekommen haben, Experimente aufbauen und relevante Messtechniken verfeinern und aktualisieren oder vielleicht sogar radikal neu angehen.
Die Ausschreibung für die Professur erfolgte vor fast drei Jahren, als Michael Meyer von der ETH an die University of Michigan, USA, berufen wurde. Als am Institut für Astronomie eine schwierige Situation entstand, wurde die Besetzung einer neuen Professur vom damaligen ETH-Präsidenten auf Eis gelegt. Wie haben Sie diese Ungewissheit erlebt?
Es gab extrem schwierige Phasen, in denen ich mich gefragt habe, ob ich meine Zeit verschwende, auch weil die Kommunikation nicht immer klar und transparent war, und man oft nicht wusste, woran man war. Ich habe mir dann gesagt: Lass uns einfach weitermachen. Ich habe versucht, die Zeit aktiv zu nutzen, neue Projekte anzuschieben, Kollaborationen zu schmieden. Das hat mir sehr geholfen.
Als die ETH Anfang dieses Jahres einen neuen Präsidenten bekam, haben wir gehofft, dass er den Prozess neu bewertet. Seine Email, Verhandlungen mit mir zu beginnen, kam für mich aber doch total unerwartet. Ich sah sie auf meinem Smartphone abends nach halb sieben, als ich gerade mein Fahrrad im Keller verstaut hatte. Natürlich habe ich mich über die Berufung sehr gefreut, denn ich habe genau das bekommen, was ich wollte. Die Gestaltungsmöglichkeiten, die man an der ETH hat, sind hervorragend. Mit dem Thema Exoplaneten besetzt die ETH ein Feld, das in der Astrophysik sehr modern, zukunftsorientiert und auch interdisziplinär ist, und gibt dem Ganzen hier wieder eine Vision und Stabilität. Das ist für die Forschungsgruppe wichtig, aber auch für die Projektbeteiligungen. Jetzt können wir wieder als verlässlicher, langfristiger Partner auftreten.
In letzter Zeit haben viele Diskussionen über das Verhältnis zwischen Professoren und Doktoranden stattgefunden. Wie sehen Sie diese Situation?
Der Fall hat dazu geführt, dass man sich selbst aktiv hinterfragt, obwohl man sich ja immer einbildet, dass man das gut macht. Aber auch als Professor sollte man sich eingestehen, dass man nicht perfekt ist. Ich glaube, es ist wichtig, dass man das bestehende System überdenkt und versucht, diese Abhängigkeit zu entkoppeln: Als Professor bezahlt man die Doktorierenden und Postdocs und bewertet sie auch. Auch gibt es beispielsweise keine wohldefinierte Art des PhDs. Manche Projekte sind sehr angeleitet, weil sie in ein grösseres Projekt eingebettet sind, andere sind sehr unabhängig. Das erfordert Flexibilität. Um die Abhängigkeit aufzulösen, könnte man andere Kollegen stärker involvieren und eine Art Doktorierenden-Board aufstellen wie es an anderen Universitäten üblich ist. Momentan wird vieles diskutiert und ETH-intern sollte sich einiges ändern.
Sie sind nun neu auch Vorstandsmitglied von PlanetS. Welchen Stellenwert hat der Nationale Forschungsschwerpunkt für Sie?
An der ETH befassen wir uns mit Fragestellungen, die komplementär sind zu den Gebieten, die in Bern, Genf oder der Uni Zürich bearbeitet werden. Das ist genau die Stärke von PlanetS, dass wir an den verschiedenen Standorten Kompetenzen haben, die sich hervorragend gegenseitig ergänzen. Dadurch ist das Umfeld der Exoplaneten-Forschung in der Schweiz sensationell. Soviel Expertise in verschiedenen Bereichen so nah zusammen: Diese Dichte hat man nirgendwo sonst. Ich glaube, dass die Schweiz durch PlanetS die Möglichkeit hat, auf dem Gebiet der Exoplaneten auch langfristig zur Weltspitze zu gehören. Wir müssen diese Chance nutzen und es gibt keine Zweifel daran, dass wir es können. Ich freue mich, dass wir nun hier wieder voller Elan loslegen können, auch innerhalb von PlanetS, dass da kein Fragezeichen mehr hinter der ETH steht.