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Chaos bei der Planetengeburt

Die Entstehung von Planeten wie der Erde gleicht dem Spiel mit Billardkugeln: Kleine Unterschiede bei der ersten Kollision von Bausteinen führen zu völlig anderen Resultaten – ein chaotisches, aber nicht zufälliges Verhalten. Das zeigen Forscher von PlanetS an der Universität Zürich. Sie haben den weltweit schnellsten Code zur Simulation von Zusammenstössen entwickelt. Die Berechnungen ermöglichen Vorhersagen, die mit Teleskopen der nächsten Generation getestet werden können.

Eine Illustration der Entstehung und Entwicklung der Planeten unseres Sonnensystems. (Illustration: Sebastian Elser)

Eine Illustration der Entstehung und Entwicklung der Planeten unseres Sonnensystems. (Illustration: Sebastian Elser)

Nach dem aktuellen Stand der Forschung nimmt man an, dass erdähnliche Planeten das Ergebnis einer grossen Zahl von Kollisionen kleinerer Bausteine (sogenannten Planetesimalen) sind. „Um uns diesem Problem widmen zu können, haben wir das schnellste Programm der Welt für die Simulation solcher Körper entwickelt“, sagt Volker Hoffmann vom Institut für Computerwissenschaften an der Universität Zürich. Das Programm — Genga — wird komplett auf Grafikkarten ausgeführt, womit es ungefähr 10x schneller läuft als vergleichbare Programme auf konventionellen Prozessoren. „Diese hohe Simulationsgeschwindigkeit erlaubt es uns, die Entstehung von Planetensystemen statistisch zu betrachten“, erklärt der Wissenschaftler.

In den Simulationen entsteht eine Vielzahl erdähnlicher Planeten um jeden simulierten Stern. Allerdings führen bereits kleinste Änderungen in den anfänglichen Positionen eines einzelnen Bausteins zu völlig anderen Planeten, wie die Studie zeigt. Da sich die Zeitskale dieser “chaotischen Divergenz” mit der Anzahl der Teilchen verringert, liegt der Schluss nahe, dass die Abwesenheit eines einzigen Moleküls im frühen Sonnensystem die Entstehung der Erde hätte verhindern können.

Die Erde — fotografiert vom Mond aus durch die Apollo-Astronauten. (Bild: NASA)

Die Erde — fotografiert vom Mond aus von den Apollo-Astronauten. (Bild: NASA)

Ungenauigkeit wächst rasch

Dieses Verhalten ähnelt sehr dem Billardspiel. Dort kann man das Ergebnis einer einzelnen Kollision mit guter Genauigkeit vorhersagen. Die Ungenauigkeit wächst mit jeder nachfolgenden Kollision jedoch rasch an. Auch können kleine Unterschiede in Winkel und Geschwindigkeit der ersten Kollision zu einer völlig anderen Verteilung der Kugeln nach nur wenigen Stößen führen. Dieses chaotische Verhalten bedeutet jedoch nicht, dass sich Billardkugeln zufällig verhalten. Theoretisch lassen sich die Laufbahnen der Kugeln zwar genaustens berechnen, aber in der Praxis sind derzeitige Computer nicht exakt genug. „In der Tat werden wir wohl niemals in der Lage sein, das Ergebnis von nur 9 Stößen exakt zu berechnen — sogar die Schwerkraft einer neben dem Tisch stehenden Person wird das Ergebnis beeinflussen“, erklärt Professor Ben Moore, Leiter der Forschungsgruppe.

Um unser Sonnensystem genau nachzubilden, müssten die Positionen und Geschwindigkeiten von gar 1057 Atomen genauestens angegeben werden. „Die chaotische Divergenz unserer Simulationen stellt also die Vorhersagefähigkeit verschiedener Szenarien der Entstehung und Entwicklung unseres Sonnensystems in Frage“, fasst Volker Hoffmann zusammen. „Glücklicherweise können wir aber mehrere Simulationen mit ähnlichen Anfangsbedingungen kombinieren, um statistische Aussagen zu einigen globalen Charakteristika zu machen.“ So sorgt beispielsweise die Anwesenheit eines Jupiters in den Simulationen dafür, dass zwar weniger, aber dafür massivere erdähnliche Planeten entstehen. Solche Vorhersagen können mit Teleskopen der nächste Generation getestet werden. Der Forscher ist zuversichtlich: „Indem wir statistische Ausreisser in bereits beobachteten Planetensystemen analysieren, prognostizieren wir vorsichtig die Existenz von Jupiter-ähnlichen Planeten in den Systemen Kepler-10, Kepler-9, 61 Vir, HD 134060, und HD 51608.“

Kontakt:
Volker Hoffmann, volker@physik.uzh.ch
Prof. Dr. Ben Moore, ben.moore@uzh.ch

Literaturhinweis:
Volker Hoffmann, Simon Grimm, Ben Moore, Joachim Stadel: “Chaos in terrestrial planet formation”,
http://arxiv.org/abs/1508.00917
https://bitbucket.org/sigrimm/genga; “The GENGA Code”, http://arxiv.org/abs/1404.2324
Michael Berry, 1967 “Regular and irregular motion” Topics in Non-linear Mechanics

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