National Centre of Competence in Research PlanetS
Gesellschaftsstrasse 6 | 3012 Bern | Switzerland
  +41 31 684 32 39

Looking out of the bubble

Eine ehrgeizige Weltraummission könnte zu einem besseren Verständnis unserer Heliosphäre und des kosmischen Staubs beitragen. Dr. Veerle Sterken, Projektleiterin bei NFS PlanetS, und ihr Team haben vor Kurzem ein “White Paper” zur Unterstützung dieser ehrgeizigen Mission veröffentlicht.
Darin sind die potenziellen wissenschaftlichen Ergebnisse für die Staub- und Heliosphärenforschung, sowie die dafür erforderlichen technischen Anforderungen beschrieben.

Seit rund einem Jahr überprüfen die US-amerikanischen National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine im Rahmen der so genannten Decadal Survey für Sonnen- und Weltraumphysik (Heliophysik) eine Vielzahl wissenschaftlicher Studien. Die Decadal Survey werden durch einen Prozess definiert, der community-informed genannt wird: eine Gruppe von Forschenden und Expertinnen und Experten bespricht und analysiert ein Projekt in Form einer Konzeptstudie und gibt anschliessend Input und Empfehlungen in Bezug auf die Realisierbarkeit ab. Nach Abschluss dieses Prozesses werden die Prioritäten der betreffenden wissenschaftlichen Arbeit für das nächste Jahrzehnt festgelegt. Dabei geht es um alles, denn die in den jeweiligen Projekten vorgeschlagenen wissenschaftlichen Methoden und Weltraummissionen können sehr ambitioniert sein. Dementsprechend hoch sind auch manchmal die benötigten Budgets. Die Konzeptstudie Interstellar Probe erfüllte innerhalb dieses Prozesses sowohl die wissenschaftlichen als auch die ambitionierten Bedingungen eindeutig.

Das Konzept von Interstellar Probe sieht vor, dass eine Sonde aus unserer Heliosphäre in den interstellaren Raum geschickt wird. Dabei soll sie mehr oder weniger den Bahnen von Voyager 1 und 2 folgen und sich mit Fragen beschäftigen, welche die Voyager-Sonden offenliessen, als sie die von der Sonne dominierte Region verliessen. Die Mission von Interstellar Probe ist auf eine nominelle Lebensdauer von fünfzig Jahren ausgelegt und würde inklusive einer fünfzigprozentigen Reserve, 1,7 Milliarden US Dollar kosten.

Eine der Hauptautorinnen des White Papers zu Interstellar Probe ist Dr. Veerle Sterken. Sie leitet eine vom ERC finanzierte Gruppe am Institut für Teilchen- und Astrophysik, die sich mit kosmischem Staub inner- und ausserhalb des Sonnensystems beschäftigt. Sterken und ihre Kolleginnen und Kollegen betonen in diesem White Paper die Wichtigkeit einer Mission wie der von Interstellar Probe. Denn nur so kann das Wissen über interstellaren Staub und die Heliosphärenforschung im Allgemeinen, erweitert, und die Wechselwirkung zwischen interstellaren Staub und Heliosphäre im Besonderen untersucht werden.

Eine ergänzte Version des White Paper wurde im Journal RAS Techniques and Instruments (RASTI) publiziert.

Die Konzeptstudie Interstellar Probe wird derzeit im Rahmen des Decadal Survey für Sonnen-​ und Weltraumphysik geprüft. (Bild: Johns Hopkins APL)

Die unbekannte kosmische Nachbarschaft

Das Sonnensystem befindet sich bildlich gesprochen in einer Blase, der sogenannten Heliosphäre. Sie ist vom interstellaren Medium, dass aus Teilchen und Magnetfeldern besteht, umgeben und ist dauerhaft mit dem Plasma der Sonne, dem sogenannten Sonnenwind, gefüllt. Der Sonnenwind breitet sich so weit aus, bis er die Randstosswelle erreicht: die Grenze, an der sich seine Ausbreitung aufgrund des Drucks des äusseren, umgebenden interstellaren Mediums, erheblich verlangsamt. Zwischen dieser Grenze und dem äusseren Rand der Heliosphäre, genannt die Heliopause, befindet sich der Bereich, der als Heliosheath bezeichnet wird.

Obschon sich diese Regionen aus astronomischer Sicht in unserer Nachbarschaft befinden, sind sie noch weitestgehend unerforscht. So ist beispielsweise die Debatte über die Form der Heliosphäre offen: neben einer kometenförmigen sind gemäss unterschiedlichen Hypothesen, auch kugel- oder Croissant-förmige Ausgestaltungen möglich. Einige Modelle gehen von einer Heliosheath aus, die doppelt so dick sein könnte wie es die bisher vorhandenen Daten vermuten lassen. Und auch die Wechselwirkungen zwischen interstellarem Staub und den Sonnwinden ist noch nicht abschliessend geklärt.

Der interstellare Staub, von dem man annimmt, dass er überall im Universum vorhanden ist, bildet den Ursprung für Sterne und Planeten. Daher ist die Untersuchung von Staubpartikeln, welche Eigenschaften sie aufweisen und wie sie sich durch das Weltall bewegen, für unterschiedliche Bereiche wichtig: von der Astrochemie bis hin zur Heliophysik ist das Wissen über den interstellaren Staub von Bedeutung.

Die Mission von Interstellar Probe würde es den Wissenschaftlern ermöglichen, mehr über unsere Heliosphäre und das, was jenseits davon liegt, zu erfahren. (Bild: Johns Hopkins APL)

Raus aus der Blase

Denn das Wissen über interstellaren Staub ist noch lückenhaft. Zwischen den aktuellen astronomischen Modellen und den Daten aus In-situ-Messungen gibt es erhebliche Diskrepanzen in Bezug auf die Grössenverteilung und die Zusammensetzung der heutigen interstellaren Staubteilchen. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte sein, dass die Heliosphäre kleinere Staubpartikel je nach Phase des solaren magnetischen Aktivitätszyklus zurückhält und somit als Filter fungiert. Problematisch dabei ist, dass die derzeit verfügbaren In-situ-Daten, die innerhalb der Heliosphäre gesammelt wurden, teilweise von Raumsonden stammen, die die Erforschung des interstellaren Staubs nicht als primäre Missionsziele hatten.

Die Zahl der ausserhalb der Heliosphäre gemessenen interstellaren Staubpartikel wäre Sterken zufolge, gegenüber der innerhalb der Blase gemessenen, im Prinzip um den Faktor 10’000 höher. Allein diese Prognose würde eine Mission wie Interstellar Probe unschätzbar wertvoll machen.

Bevor sie unsere Nachbarschaft verlassen würde, könnte die Sonde auf ihrer Reise In-situ-Messungen von Staub- und Plasmaparametern in allen relevanten Regionen durchführen: im interplanetaren Raum, an der Randstosswelle, in der Heliosheath und an der Heliopause. Eine Staubmodellierung, die auf solchen Messungen beruht, würde es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ermöglichen, neue Erkenntnisse aus der Staubforschung in Heliosphärenmodelle miteinzubeziehen, die bereits jetzt durch Magnetfeld-, Plasma- und galaktische kosmische Strahlungsdaten gestützt werden.

Die Beantwortung einer der offenen Fragen, könnte von der Einbeziehung der Staubforschung in das Gesamtbild besonders profitieren: wie sich die Struktur der Heliosphäre im Laufe der Zeit ändert. Ebenso die Frage, ob Staubpartikel, sowie ihre jeweilige Grösse, Einfluss auf die Druckbilanz der Heliosphäre nehmen.

Ausserdem ist es ein günstiger Zeitpunkt, um eine Flucht aus unserer Blase zu planen. Während das Sonnensystem um das Zentrum der Galaxie kreist, durchquert es Regionen mit unterschiedlicher Dichte an Gas und Staub. Im Moment befindet es sich auf dem Weg aus der Lokalen Interstellaren Wolke (LIC), in der es sich seit etwa 60 000 Jahren aufhält, in die G-Wolke. Neueste Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass sich die Sonne wahrscheinlich bereits in der Übergangsregion zwischen der LIC und der G-Wolke befindet. Es könnte also möglich sein, einen Blick auf Material aus der benachbarten G-Wolken-Region zu erhaschen. Für Wissenschaftlerinnen wie Sterken also eine spannende Gelegenheit.

Die Autorinnen und Autoren des RASTI-Papers plädieren angesichts der Bedeutung einer Mission, wie sie Interstellar Probe für die Heliosphären- und Staubforschung darstellt, für ein spezielles, hochentwickeltes Instrument. So könnten Daten gesammelt werden, die einen noch nie dagewesenen Einblick in die Eigenschaften und die Dynamik des interstellaren Staubs ermöglichen würden.

Nicht nur über Interstellar Probe

Ausserdem sehen sie auch die Möglichkeiten von Synergien zwischen verschiedenen Missionen, um mehr Beobachtungspunkte im Weltraum gleichzeitig und auf unterschiedlichen zeitlichen Skalen für die Beobachtung zu erreichen. Tatsächlich könnten die Instrumente unterschiedlicher Missionen komplementäre Daten und dadurch ein vollständigeres Bild der immer öfters thematisierten Wechselwirkung zwischen Staub und Heliosphäre liefern.

Das RASTI-Paper gibt daher auch einen Überblick über bereits bestehende und zukünftige Instrumente, die, in Abhängigkeit zur Nutzlast, für Interstellar Probe oder auch andere Missionen in Frage kommen könnten.

Insbesondere thematisieren die Autorinnen und Autoren die niedrigen Nachweisgrenzen bei der Messung von Partikelgrösse und Nanostaub, da Nanostaubpartikel im interstellaren Raum reichlich vorhanden sind, jedoch von der Heliosphäre herausgefiltert werden. Von grosser Bedeutung für die Instrumentierung der Mission ist die Kalibrierung des Detektors. An diesem Aspekt hat die Gruppe um Veerle Sterken zusammen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Nationales Forschungsschwerpunktes (NFS) PlanetS gearbeitet. Da sich die Sonde von Interstellar Probe sehr schnell fortbewegen würde, sie würde die Randstosswelle innerhalb der Hälfte der Zeit erreichen, welche die Voyager-Sonden für dieselbe Strecke benötigten, müsste ihr Staubdetektor unter Berücksichtigung von Hochgeschwindigkeits-Partikeln sowie Zusammensetzungen und Morphologie von Partikeln kalibriert werden, die bisher potenziell unbekannt sind.

Das Ergebnis der Decadal Survey wird im Jahr 2024 bekannt gegeben. Ein positiver Entscheid für Interstellar Probe wäre eine massgebliche Empfehlung für die NASA. Viele Forscherinnen und Forscher aus Europa haben zu dem RASTI-Paper beigetragen. Dies kann als Botschaft an die ESA betrachtet werden, sich im Falle eins Zustandekommens von Interstellar Probe, mit einem eigenen Instrument an der Mission zu beteiligen. Bis Entscheidungen getroffen werden, wird die Erforschung von interstellarem Staub und unserer kosmischen Nachbarschaft von innerhalb der Heliosphäre fortgesetzt werden.

 

 

Diese Geschichte basiert auf  einem Artikel von Gaia Donati von der ETH Zurich.

 

Literaturhinweis

Sterken, V.J. et al. Synergies between interstellar dust and heliospheric science with an Interstellar Probe. RAS Techniques and Instruments (2023). DOI:10.1093/rasti/rzad034 (Accepted Manuscript)

Weitere Lektüre

Hunziker, S. et al. Impact ionization dust detection with compact, hollow and fluffy dust analogs. Planetary and Space Science 220, 105536 (2022). DOI:10.1016/j.pss.2022.105536

Brandt, P.C. et al. Future Exploration of the Outer Heliosphere and Very Local Interstellar Medium by Interstellar Probe. Space Sci. Rev. 219, 18 (2023). DOI:10.1007/s11214-022-00943-x

Decadal Survey for Solar and Space Physics (Heliophysics) 2024-2033

 

Forschungsfinanzierung

Dieses Projekt wurde vom Europäischen Forschungsrat (ERC) im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms “Horizon 2020” der Europäischen Union finanziert (Fördervereinbarung Nr. 851544).

Diese Arbeit wurde im Rahmen des NFS PlanetS durchgeführt, der vom Schweizerischen Nationalfonds mit den Stipendien 51NF40_182901 und 51NF40_205606 unterstützt wird.

 

Categories: News

Gefällt dir was du siehst ? Teile es!

Share Tweet Share Save Share Email