«Das ist ein gigantisches Projekt»
Xavier Barcons ist Generaldirektor der Europäischen Südsternwarte ESO. Letzte Woche reiste er in die Schweiz zur Sitzung des ESO-Ratskomitees, die in Bern stattfand. Die ESO baut derzeit das «Extremely Large Telescope» ELT. Mit einem Spiegeldurchmesser von 39 Metern wird das ELT das weltweit grösste Teleskop im optischen und nahen Infrarot-Bereich sein.
PlanetS: Wie steht es mit dem Bau des ELT?
Xavier Barcons: Wir machen grosse Fortschritte. In Europa kommen wir bei vielen unserer Industrieaufträge sehr gut voran. Bei der Optomechanik, einem der heikelsten Teile des Teleskops, läuft es wirklich bestens.
In Chile wurden letztes Jahr die Aushebungen auf dem Gipfel des Bergs «Armazones», wo das Teleskop stehen wird, abgeschlossen. Nun wartet man darauf, dass das Bauunternehmen mit den schweren Lastern für den Erdbebenschutz und die Fundamente anfährt. Gleichzeitig befindet sich das Design der Kuppel und der mechanischen Struktur in einem sehr fortgeschrittenen Stadium.
Wir machen auch Fortschritte bei den Instrumenten, die zur Verfügung stehen werden, wenn das Teleskop in Betrieb geht. Für die meisten von ihnen hat bereits das sogenannte «Preliminary Design Review» stattgefunden. Wir wissen also, was die Institute in den Mitgliedstaaten bauen werden, und dass wir die Forschung betreiben können, die wir mit dem ELT machen wollen.
Sie haben also keine schlaflosen Nächte?
Normalerweise bin ich abends so müde, dass ich immer schlafe… Natürlich gibt es immer Sorgen und Bedenken, das ist normal. Das ist ein gigantisches Projekt, auch für die ESO. Unsere Kapazitäten werden ziemlich überbelastet, aber auch diejenigen der wissenschaftlichen Gemeinschaft und der Industrie durch den Bau dieser wunderbaren Maschine. Es gibt überall viele Herausforderungen, aber wir kommen gut voran.
Wann wird das ELT einsatzbereit sein?
«First Light» ist Ende 2025. «First Light», also «erstes Licht», bedeutet, dass das Teleskop bereit ist, damit wir es auf den Himmel richten können und das Bild eines Sterns erhalten. Zu diesem Zeitpunkt beginnen wir aber noch nicht damit, den Himmel für wissenschaftliche Zwecke zu beobachten. Dann gibt es eine Phase, in der wir die Instrumente auf den Plattformen des Teleskops montieren und in Betrieb nehmen müssen. Dies kann weitere ein bis zwei Jahre dauern. Der Betrieb, bei dem wir wissenschaftlichen Daten wie gewünscht liefern, wird also bestenfalls im Jahr 2026 beginnen.
Welche Ergebnisse erwarten Sie von dieser gigantischen Maschine?
Wie alle grossen Projekte wurde das ELT so konzipiert, dass es spezifische wissenschaftliche Ziele erreicht. Ich kann einige von ihnen auflisten, wie z.B. die Suche nach Erdzwillingen bei Sternen, die der Sonne sehr ähnlich sind, die Auflösung der unmittelbaren Umgebung von Schwarzen Löchern, die Suche nach den ersten Galaxien, in denen im Laufe des Universums Sterne gebildet wurden, die Auflösung einzelner Sterne in anderen Galaxien und viele weitere, faszinierende wissenschaftliche Ziele. Wir können sogar die Beschleunigung des Universums in Echtzeit mit dem ELT messen, wenn es voll ausgerüstet ist.
Das ist alles sehr spannend. Aber ich muss Sie auf etwas aufmerksam machen, was bei allen grossen astronomischen Anlagen passiert ist: Ich bin sicher, dass die meisten der Entdeckungen, die das ELT machen wird, heute nicht vorhergesagt werden können. Das Hubble-Weltraumteleskop ist ein sehr gutes Beispiel. Es wurde mit einem sehr klaren Ziel entwickelt, nämlich die Hubble-Konstante zu messen. Das ist die Geschwindigkeit, mit der sich das Universum ausdehnt. Und in der Tat, Hubble tat dies, aber von den zehn wichtigsten Entdeckungen, die Hubble machte, ist dies höchstens eine davon. Alle anderen waren völlig unvorhergesehen. Das ELT ist kein Experiment, das entwickelt wurde, um eine bestimmte Frage zu klären, wie z.B. das Higgs-Boson zu finden oder worum es sich beim Partikel der Dunklen Materie handelt oder etwas Ähnliches. Es ist wirklich eine Einrichtung mit einer sehr breiten Palette von Zielen, von denen wir viele heute noch nicht einmal vorhersehen können.
Als Spezialist für Röntgenastronomie haben Sie sich mit aktiven Galaxien und Hochenergie-Phänomenen beschäftigt. Jetzt zählen Planeten zu den «Hot Topics» in der Astronomie. Beobachten Sie eine Verlagerung der Themen?
Zu den wichtigsten wissenschaftlichen Themen, die wir in den nächsten Jahrzehnten haben werden, gehören einige, die es vor 30 Jahren noch nicht gab. Exoplaneten sind ein faszinierendes Gebiet. Als ich Anfang der 90er Jahre Dozent an der Universität war, kannte man noch keinen einzigen Exoplaneten. Ich konnte in meinen Vorlesungen also nichts über Exoplaneten lehren. Und auch die beschleunigte Expansion des Universums war damals noch nicht bekannt. Ich erinnere mich, dass ich meinen Studenten erklärt habe, dass sich das Universum ausdehnt, aber auf eine verlangsamte Weise, weil es Materie enthält und dies bewirkt, dass die Geschwindigkeit abnimmt. Das war falsch! Viele Dinge haben sich in den letzten Jahrzehnten so dramatisch verändert. Das ist alles in Ordnung, es ist überall sehr spannend.
Als Generaldirektor der ESO sind Sie kaum mehr in der Lage, selbst Forschung zu betreiben. Vermissen Sie dies?
Ich geniesse die Arbeit, die ich jetzt mache. Sie ist sehr herausfordernd, aber auch sehr reizvoll. Ich habe den grössten Teil meines Lebens geforscht, und ich vermisse dies; aber es ist auch sehr befriedigend, wenn man eine Organisation leitet, die solch gigantische Leistungen vollbringt. Damit bin ich sehr glücklich.
Welche Bedeutung hat die Schweiz für die ESO?
Sie ist sehr wichtig. Die Schweiz ist seit 37 Jahren Mitglied der ESO, ein fantastisches Engagement. Mitglied der ESO zu sein bedeutet, die Organisation beim Bau der grossen Anlagen zu unterstützen, wie in Paranal, bei ALMA und jetzt dem ELT, aber auch entscheidende Beiträge zu unserem Instrumentenprogramm zu leisten. Die Schweiz hat wirklich Wichtiges beigetragen, wie z.B. HARPS in La Silla und jetzt ESPRESSO in Paranal. Das sind sehr wichtige Aspekte, bei denen der Einsatz der Mitgliedstaaten entscheidend ist. Aber auch der wissenschaftliche Ertrag aus diesem Engagement ist äusserst faszinierend. Es gibt viele Entdeckungen und Fortschritte in der Astronomie, die mit einem Schweizer Stempel versehen sind. Und jetzt bin ich auch in einer Position, in der ich einen Schweizer Chef habe, den ESO-Ratspräsidenten Willy Benz, der auch ein alter Freund und Kollege ist, was mir zusätzlich Freude bereitet, bei der ESO zu arbeiten.
Xavier Barcons ist seit dem 1. September 2017 Generaldirektor der ESO. Er wurde 1959 in Spanien geboren, studierte Physik und machte seine akademische Karriere in Spanien und Grossbritannien. Seit 2002 ist er «CSIC Research Professor» am Physikinstitut von Cantabria in Santander, Spanien. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.
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