Planeten bauen wie Sandburgen
Die Planetenbildung beginnt mit kleinen Staubkörnern in Scheiben um junge Sterne. Doch Zersplitterung bei Kollisionen sowie radiales Driften behindern das Wachstum der Staubkörner. Wie werden also die grösseren Planetesimale, die Bausteine der Planeten, gebildet? Diese Frage ist noch offen. Jetzt haben Wissenschaftler von PlanetS einen Mechanismus gefunden, der die Lücke zwischen dem frühen und dem späten Stadium der Planetenbildung schliesst. Eine wichtige Rolle spielt dabei die sogenannten Schneegrenze, wo das Wasser zu festem Eis kondensiert.
Von Wieńczysław Bykowski
Die Entstehung von Planetensystemen ist äusserst komplex und viele Aspekte versteht man bis heute nicht gut. Am wenigsten gesichert ist der Zusammenhang zwischen frühen und späten Stadien dieses Prozesses, d.h. wie aus mikrometergrossen Körnern kilometergrosse Brocken werden. Joanna Drążkowska von der Universität Zürich und Yann Alibert von der Universität Bern, beide Mitglieder des NFS PlanetS, führten numerische Modellrechnungen durch, die ein neues Licht auf dieses Problem werfen.
Der Schlüssel zu ihrem Erfolg war es, zu verstehen, wie wichtig die Rolle des Wassers ist. “Es ist wie beim Bau von Sandburgen am Strand”, sagt Joanna Drążkowska: “Man muss zum Sand Wasser hinzufügen. Wasser macht es klebrig, sonst fällt es auseinander.”
Eines der Hauptprobleme in den Modellen zur Planetenentstehung wird als “Wachstumsgrenze” bezeichnet. Die Kollisionsgeschwindigkeiten von Staubaggregaten sind zu hoch, um ein Wachstum über die Grösse von Brocken hinaus zu ermöglichen. Zudem entkoppeln sich bereits zentimetergrosse Kieselsteine vom Gasnebel und fallen auf den Stern, ähnlich wie die Tropfen aus Wolken fallen und Regen produzieren. Bisher ignorierten Modelle, die sich mit den Endstadien der Planetenbildung befassen, diese Komplikationen und gingen von einer Ad-hoc-Verteilung der so genannten Planetesimale aus, den kilometergrossen Bausteinen der Planeten
Die neue Arbeit stellt einen effizienten Mechanismus vor, der es ermöglicht, diese Lücke endlich zu schliessen. Die Modelle von Drążkowska und Alibert basieren auf dem derzeit am weitesten verbreiteten Szenario der sogenannten Strömungsinstabilität. Wenn in diesem Szenario ausreichend grosse Staubaggregate an einer Stelle in der protoplanetaren Scheibe konzentriert sind, erzeugt die Strömungsinstabilität sehr dichte Staubfilamente. Einige von ihnen sind dicht genug, um in sich zusammenzustürzen und durch die Schwerkraft gebundene, kilometergrosse Objekte zu bilden – die Planetesimale, die es in den späten Phasen der Planetenentstehung braucht. Tatsächlich glauben die Wissenschaftler, dass einige der Asteroiden und Kometen im Sonnensystem ursprüngliche Planetesimale sind, die aus der Ära der Planetenentstehung überlebt haben.
Bleibt die Frage: Wie werden diese grossen Staubaggregate gebildet und angesammelt, so dass sie die Strömungsinstabilität initiieren? Drążkowska und Alibert glauben, dass sie eine Antwort auf diese Frage gefunden haben. Eine besondere Stelle in der protoplanetaren Scheibe spielt in ihrem Modell eine wichtige Rolle: Die sogenannte Schneegrenze, an der das Wasser zu festem Eis kondensiert. Da der nasse Staub ausserhalb der Schneegrenze klebriger ist, wachsen die Aggregate dort zu grösseren Objekten und driften so schneller zum Stern. Innerhalb der Schneegrenze verdunstet das Wassereis, während der verbleibende trockene Staub langsamer wird; es bildet sich ein Stau. Ein Teil der Wasserpartikel wird durch Diffusion aus der Schneegrenze gedrückt und kondensiert wieder, wodurch der Prozess des Körnerwachstums beschleunigt wird. Das Ergebnis ist ein Ring aus zentimetergrossen, eisigen Kieselsteinen, die unmittelbar ausserhalb der Schneegrenze liegen und gross genug sind, um den Prozess der Strömungsinstabilität anzustossen und die nächsten Stufen der Planetenbildung einzuleiten.
Als Endergebnis der Simulationen ergibt sich ein massiver Ring von Planetesimalen um den Stern, nahe der Schneegrenze. „Die beschriebenen Prozesse beschleunigten wahrscheinlich die Entstehung des Jupiters in unserem Sonnensystem”, meinen die Wissenschaftler: „In jedem von uns untersuchten Modell gibt es mehr Planetesimale, als dies bei einem standardmässigen Solarnebel mit minimaler Masse erwartet wird.” Das bedeutet, dass genügend Material vorhanden ist, um schnell einen massiven Planetenkern zu bilden, so dass dieser seine Gasatmosphäre ansammeln kann, bevor sich der protoplanetare Nebel verflüchtigt. „Unsere Ergebnisse können von anderen Wissenschaftlern als Input für Modelle verwendet werden, die sich mit späteren Stadien der Planetenakkretion befassen”, fügen die PlanetS-Forscher hinzu.
Diese Erkenntnisse eröffnen neue Forschungsmöglichkeiten. Bisher konzentrierten sich die Autoren auf sonnenähnliche Sterne. Nun planen sie, ihre Modelle an protoplanetare Scheiben um Zwergsterne wie den berühmten Trappist-1 anzupassen. Sie werden auch testen, ob ähnliche Mechanismen an Kondensationslinien anderer Moleküle funktionieren, wie z.B. Kohlendioxid oder Ammoniak, die in Scheiben um junge Sterne herum beobachtet werden.
Referenz: “Planetesimal formation starts at the snow line” by Joanna Drążkowska and Yann Alibert, Astronomy & Astrophysics, September 2017
https://doi.org/10.1051/0004-6361/201731491
https://arxiv.org/abs/1710.00009