Einschlag der DART-Raumsonde könnte Asteroid verformt haben
Dank Simulationen mit einem Softwaresystem, das an der Universität Bern entwickelt wurde, liefert ein internationales Team unter Berner Leitung wichtige Einblicke in den Einschlag der NASA-Raumsonde DART auf dem Asteroiden Dimorphos: Es ist sehr wahrscheinlich nicht einfach ein Krater entstanden, sondern der ganze Asteroid verformt worden. Gewissheit wird die ESA-Raumsonde Hera bringen, die derzeit für ihre Reise zu Dimorphos vorbereitet wird. Die Simulationen liefern auch wertvolle Erkenntnisse für die Verteidigung des Planeten Erde.
Die ESA-Raumsonde Hera zur Planetenverteidigung wird derzeit für eine Reise zum fernen Asteroidenmond Dimorphos vorbereitet, der um seinen Mutter-Asteroiden Didymos kreist. Eines der ersten Merkmale, nach denen Hera suchen wird, ist der Krater, den die Vorgängermission DART auf Dimorphos hinterlassen hat, als sie den Asteroiden traf und seine Umlaufbahn änderte. Eine neue Studie zur Simulation des Einschlags, die in Nature Astronomy veröffentlicht wurde, deutet jedoch darauf hin, dass kein Krater gefunden werden wird. Der DART-Einschlag dürfte stattdessen den gesamten Körper umgestaltet haben – eine wichtige Erkenntnis sowohl für die Asteroidenforschung als auch für die Verteidigung des Planeten Erde.
Am 26. September 2022 traf die etwa eine halbe Tonne schwere NASA-Raumsonde DART mit einer Geschwindigkeit von 6,1 km/s auf den mit Felsbrocken bedeckten Asteroiden Dimorphos.
Dieses erste Experiment zur Ablenkung eines Asteroiden durch einen «kinetischen Einschlag» war erfolgreich: Beobachtungen von der Erde aus zeigen, dass die 11 Stunden und 55 Minuten dauernde Umlaufbahn von Dimorphos um seinen Mutter-Asteroiden Didymos um etwa 33 Minuten verkürzt wurde (gemessen mit einer Unsicherheit von plus/minus einer Minute).
Was die Forschenden noch nicht wissen, ist, wie der Asteroid als Ganzes auf den Einschlag der Raumsonde reagiert hat oder wie effizient die Impulsübertragung insgesamt war. Die Berechnung der Impulsübertragung, des sogenannten «Betafaktors», erfordert die genaue Kenntnis der Masse des Asteroiden, die dann von Hera gemessen werden soll.
Zur Ermittlung des Betafaktors ist auch eine genaue Messung des Rückstosses von ins All zurückgeschleudertem Material erforderlich. Bislang gibt es Schätzungen basierend auf den Bildern des italienischen LICIACube, die bis zu fünf Minuten und 20 Sekunden nach dem Einschlag von DART in der Nähe aufgenommen wurden, sowie Bilder der Weltraumteleskope James Webb und Hubble sowie von terrestrischen Teleskopen. Sie alle zeigen eine riesige Trümmerwolke, die sich mehr als 10’000 km in den Weltraum ausdehnte und die monatelang sichtbar war.
Um Dimorphos nach dem Einschlag von DART aus der Nähe betrachten zu können, müssen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Ankunft der ESA-Raumsonde Hera warten. Hera soll im Oktober dieses Jahres starten und Ende 2026 bei Dimorphos eintreffen. Ausgestattet mit einer Reihe von Instrumenten und unterstützenden Miniatur-«CubeSats» soll sie den Aufbau, die Struktur und die Masse von Dimorphos untersuchen und Aufschluss darüber geben, wie der Hochgeschwindigkeitseinschlag ihn verändert hat (der Name Dimorphos stammt aus dem Griechischen und bedeutet «zwei Formen haben»).
In der Zwischenzeit hat ein internationales Forschungsteam dank Simulationen einen ersten Eindruck des DART-Einschlags gewonnen, welche mit dem Softwaresystem Bern Smoothed Particle Hydrodynamics (SPH) durchgeführt wurden. Dieses Softwaresystem wurde über zwei Jahrzehnte hinweg an der Universität Bern entwickelt und dient dazu, Kollisionen von Asteroiden, Kometen oder Planeten zu simulieren.
Mit dem Berner Softwaresystem werden kollidierende Körper in Millionen von Partikeln unterteilt, deren Verhalten beim Aufprall durch das Zusammenspiel verschiedener rekonfigurierbarer Variablen wie Schwerkraft, Dichte oder Materialstärke des Asteroiden bestimmt wird. Das Verfahren wurde in Laborexperimenten validiert und auch zur Simulation eines früheren Asteroideneinschlagsexperiments verwendet, als die japanische Raumsonde Hayabusa2 im Jahr 2019 einen kleinen Kupfer-Impaktor auf den Asteroiden Ryugu schoss.
«Der Code läuft auf einem High Performance Computing Cluster hier an der Universität», erklärt Sabina Raducan von der Abteilung Weltraumforschung und Planetologie des Physikalischen Instituts der Universität Bern, die das Team leitet und die Co-Vorsitzende der Hera Impact Physics Working Group ist. Sie ist ebenfalls Mitglied des Nationalen Forschungsschwerpunkts NFS PlanetS, der von der Universität Bern gemeinsam mit der Universität Genf geleitet wird.
«Es ist ein rechenintensiver Prozess, denn jede Simulation dauert etwa anderthalb Wochen. Wir haben insgesamt etwa 250 Simulationen durchgeführt, die die ersten zwei Stunden nach dem Einschlag reproduzieren. Wir haben alle uns bekannten Parameter einbezogen – wie die Masse der DART-Raumsonde, die ungefähre Form des Asteroiden, die Bahnabweichung und die Grösse der Trümmerwolke des Einschlags – und gleichzeitig die Faktoren variiert, die wir nicht kennen, zum Beispiel wie dicht die Gesteinsbrocken nebeneinander liegen, ihre Dichte, die Porosität des Materials und die allgemeine Kohäsion. Wir haben auch einige Annahmen getroffen, die auf den physikalischen Eigenschaften von Meteoriten beruhen, die Dimorphos ähneln.
«Dann haben wir überprüft, welche der Simulationsergebnisse am ehesten mit der beobachteten Realität übereinstimmen. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Asteroid Dimorphos quasi ein ‘Trümmerhaufen’ ist, der eher zusammengehalten wird durch die schwache Schwerkraft des Asteroiden als durch dessen Kohäsionskraft. Dies trägt dazu bei, die unerwartet hohe Effizienz der Bahnablenkung durch DART zu erklären.»
Die Kohäsionskraft kann anschaulich erklärt werden, indem man sich vorstellt, wie sich Mehl im Vergleich zu Sand verhält. Herabfallendes Mehl bildet aufgrund seiner grösseren Kohäsionskraft eine konische Form, während Sand wegen seiner schwachen Kohäsionskraft einen viel flacheren Haufen bildet.
«Die Kraterbildung wird normalerweise entweder durch die Schwerkraft oder aufgrund der Kohesionskräfte des Materials, in das etwas einschlägt, beendet», fügt Martin Jutzi von der Universität Bern hinzu, der auch den Vorsitz der Hera Impact Physics Working Group innehat. «Auf der Erde ist die Schwerkraft so gross, dass die Kraterbildung schnell geht, wenn etwas einschlägt. Dies führt zu einem typischen Kraterkegelwinkel von etwa 90 Grad. Was wir beim DART-Einschlag auf Dimorphos sahen, war ein viel grösserer Winkel von bis zu 160 Grad, der hauptsächlich durch die gekrümmte Form der Asteroidenoberfläche beeinflusst wurde. Und der Krater wuchs immer weiter, weil sowohl die Schwerkraft als auch die Materialkohäsion so gering sind.»
Sabina Raducan fügt hinzu: «Wahrscheinlich ist der Krater so weit gewachsen, dass er schliesslich den gesamten Körper umfasst, so dass Dimorphos am Ende völlig umgestaltet wurde. Infolgedessen wird Hera wahrscheinlich keinen Krater finden, der von DART verursacht sein könnte. Was die Raumsonde stattdessen entdecken wird, ist ein ganz anderer Körper. Unsere Simulationen deuten darauf hin, dass die ursprüngliche Untertassenform von Dimorphos auf der Einschlagsseite abgestumpft wurde: Wenn man sich vorstellt, dass Dimorphos anfangs wie ein Schokoladen-M&M aussah, dann sieht er jetzt aus, als hätte er einen Biss abbekommen!”
Diese Veränderung wird auch Auswirkungen auf die Umlaufbahn von Dimorphos um seinen Mutter-Asteroiden Didymos gehabt haben. Um die Ergebnisse der simulierten Umformung zu interpretieren, griff das Team auf stereoskopische Bilder zurück, die der Queen-Gitarrist und Astrophysiker Sir Brian May zusammen mit seiner Mitarbeiterin Claudia Manzoni erstellt hatte.
Das Team schätzt, dass 1% der gesamten Masse von Dimorphos durch den Einschlag von DART in den Weltraum geschleudert wurde, was auf seine geringe Fluchtgeschwindigkeit von nur 10 cm/s zurückzuführen ist. Und etwa 8% der Masse des Asteroiden wurde um seinen Körper herum verschoben.
Wenn es sich bei Dimorphos um einen Trümmerhaufen handelt, der eher wie ein Traubenbündel als ein fester Monolith in der Umlaufbahn hängt, dann hat dieser Befund auch wichtige Konsequenzen für den wahrscheinlichen Ursprung des Körpers. Der Befund stärkt nämlich die Hypothese, dass der Asteroidenmond Dimorphos dadurch entstanden ist, dass von seinem Mutter-Asteroiden Didymos äquatoriales Material in den Weltraum geschleudert wurde, das später aufgrund der Schwerkraft zusammenwuchs.
«Das Gesamtbild von Dimorphos als einem nahezu kohäsionslosen Körper, der hauptsächlich durch die schwache Schwerkraft geformt wird, scheint mit unseren Nahbeobachtungen anderer Asteroiden übereinzustimmen», bemerkt Patrick Michel, Forschungsdirektor am CNRS am Observatoire de la Côte d’Azur in Nizza und Principal Investigator von Hera. «Ryugu (der von Hayabusa2 besucht wurde) und Bennu (der von der NASA-Raumsonde OSIRIS-Rex besucht wurde) sind kohlenstoffreiche Asteroiden der ‘C-Klasse’, die sich stark von den silikatreichen Asteroiden der ‘S-Klasse’ Didymos und Dimorphos unterscheiden. Sie scheinen aber alle einen vergleichbaren Mangel an Kohäsion aufzuweisen. Dies muss noch näher erforscht werden, da wir dies erst für drei Asteroiden festhalten können. Dass aber alle drei kleinen Asteroiden eine Mangel an Kohäsion aufweisen wäre eine gute Nachricht für die Verteidigung des Planeten Erde, denn wenn wir im Voraus wissen, wie ein Körper reagieren wird, wird es einfacher sein, die entsprechenden Ablenkungswerkzeuge zu entwickeln!”
Das Team, das aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus insgesamt 24 Institutionen besteht, ist Teil der grösseren internationalen Hera Science Working Group. Die Forschenden dieser Gruppe freuen sich darauf, herauszufinden, ob die jüngsten Beobachtungen ihrer Kolleginnen und Kollegen am Didymos-System die Voraussagen ihrer Simulationen bestätigen, wie zum Beispiel die veränderte Form des Asteroiden und die daraus resultierenden Bahnstörungen, die schliesslich durch Hera vollständig aufgeklärt werden sollen.
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