Im All nach Bausteinen des Lebens suchen
Susanne Wampfler untersucht mit Radioteleskopen Gebiete weit draussen im Weltall, in denen neue Sterne und Planeten entstehen. Sie ist Förderprofessorin des Schweizerischen Nationalfonds, Projektleiterin bei PlanetS und arbeitet am Center for Space and Habitability (CSH) der Universität Bern. Als Gleichstellungsbeauftragte des CSH setzt sie sich nicht nur für Frauen, sondern auch für Männer ein.
Man habe ihr erzählt, dass «Mond» eines der ersten Wörter gewesen sei, die sie als Kleinkind aussprechen konnte, sagt Susanne Wampfler. Ein paar Jahre später überraschte sie ihre Eltern nachts auf einer Fahrt von Wien nach Hause in den Aargau. Anstatt zu schlafen, beobachtete sie den Himmel und fragte: «Warum kommt der Mond immer mit uns?» Selbst als die Familie den Arlbergtunnel durchfahren hatte, war er wieder da, und dies obwohl er im Tunnel nicht dabei gewesen war – ein Rätsel, welches das kleine Mädchen beschäftigte.
Heute blickt Susanne Wampfler noch weiter ins Weltall hinaus. Sie ist Radioastronomin, ihre Fachgebiete sind Sternentstehung und Astrochemie. «In der Astrochemie studieren wir die Zusammensetzung des Materials, aus dem die Sterne und Planeten entstehen», erklärt die Professorin am Center for Space and Habitability (CHS) der Universität Bern. Die Radioteleskope, mit denen Wampfler die Sternentstehungsgebiete beobachtet, liefern kein buntes Bild, sondern ein Spektrum, in dem die Strahlung des anvisierten Objekts in die verschiedenen Wellenlängen zerlegt ist. «Daraus können wir oft mehr Informationen herauslesen als aus Bildern, auch wenn diese das Publikum natürlich mehr faszinieren», sagt die Wissenschaftlerin.
«Leider wissen die meisten Leute wenig über Radioastronomie, deshalb versuche ich, in öffentlichen Vorträgen zu erklären, was wir machen», sagt Wampfler. Jedes Molekül hinterlässt im Spektrum eine bestimmte Signatur. So können die Forschenden herausfinden, welche Moleküle es im Gas um neu entstehende Sterne gibt, wie häufig diese sind und durch welche Prozesse sie entstehen und eventuell auch wieder zerstört werden. Das grosse Ziel: Antworten zu finden auf die Fragen, ob die chemischen Bausteine für Leben um junge Sterne bereits vorhanden sind, und falls ja, wann und wo sie entstehen. Die Forschenden haben bereits organische Moleküle wie Methylchlorid oder einfache Zucker gefunden, der angestrebte Nachweis der einfachsten Aminosäure Glycin steht aber noch aus.
Auf dem Gornergrat eingeschneit
Die Stern- und Planetenentstehung faszinierte Wampfler schon während ihres Physikstudiums an der ETH Zürich. Zur Radioastronomie kam sie aber eher zufällig, als sie nach einem Projekt für ihre Diplomarbeit suchte und sich die Gelegenheit bot, mit dem KOSMA-Radioteleskop zu arbeiten, das die Universität Köln bis 2010 auf dem Gornergrat installiert hatte. Zusammen mit einer Studienkollegin führte Wampfler in der 3100 m.ü.M. gelegenen Station drei Wochen lang Messungen durch – unter harten Bedingungen: «Wir wurden eingeschneit und hatten nur knapp genug zu essen, weil das Hotel geschlossen war und wir nicht mehr ins Tal kamen», erinnert sie sich.
Doch die Arbeit überzeugte den zuständigen Professor Arnold Benz, so dass er seiner Studentin eine Dissertationsstelle anbot. So blieb die frischgebackene Diplomphysikerin bei der Radioastronomie. Nach dem Doktorat an der ETH nahm sie eine Postdoc-Stelle an der Universität Kopenhagen an. Denn dort konnte sie sich mit der neuesten Technik vertraut machen, die beim Riesenteleskop ALMA in der chilenischen Atacama-Wüste angewendet wird. Die Anlage auf 5000 m.ü.M. besteht aus 66 Parabolantennen, die zu einem sogenannten Interferometer-Radioteleskop zusammengeschaltet werden.
Mit dem Umzug nach Dänemark begann für Wampfler eine schwierige Zeit. Ihr Partner, ebenfalls Physiker, blieb in der Schweiz, und neben den Belastungen, die eine Fernbeziehung mit sich bringt, musste sich die junge Frau auch manch kritischen Kommentar aus ihrem Umfeld anhören.
Überholtes Rollenbild korrigieren
Seit 2016 ist sie wieder in der Schweiz. Nach einer Postdoktorandenstelle als CSH-Fellow an der Universität Bern erhielt sie vom Schweizerischen Nationalfonds eine Förderprofessur, mit der hoch qualifizierte junge Forschende unterstützt werden. Doch noch heute trifft sie oft auf überholte Rollenbilder, zum Beispiel wenn sie zusammen mit ihrem Partner, der ebenfalls Professor ist, eine Veranstaltung besucht: «Manche Leute schauen komisch, wenn sie erfahren, dass ich Astrophysikerin bin.»
Dass man mit diesem Beruf und der Professorenstelle eher einen älteren Mann als eine jüngere Frau in Verbindung bringt, erfuhr Wampfler auch nach einem TV-Interview in der Sendung 10vor10 des Schweizer Fernsehens. Die 38-Jährige hatte Fragen zum Mondlandejubiläum souverän beantwortet. Doch neben positiven Reaktionen erhielt sie auch Emails, in denen bezweifelt wurde, dass eine so junge Frau schon Expertin sein könne. «Offenbar fühlten sich gewisse Leute durch meinen Auftritt provoziert», sagt die Astrophysikerin.
Als Gleichstellungsbeauftrage des CSH will sie sich im akademischen Umfeld dafür einsetzen, dass niemand benachteiligt wird. Ein besonderes Augenmerk richtet sie dabei auf das Auswahlverfahren für CSH-Fellows. So wird angestrebt, dass der Frauenanteil auf der Liste der Kandidierenden, die zu Gesprächen eingeladen werden, etwa gleich gross ist wie bei den ursprünglichen Bewerbungen. Wampfler sorgte aber auch dafür, dass ein neues Programm zur Unterstützung von Postdocs nach einem Karriere-Unterbruch nicht nur von Frauen in Anspruch genommen werden kann. Denn auch wenn ein Mann die Kinderbetreuung übernimmt und beruflich zurücksteckt, sollte er die Möglichkeit für einen Wiedereinstieg erhalten und vom «Mileva Maric Scheme», so benannt nach Einsteins erster Frau, profitieren können.
Vieles habe sich in den letzten Jahrzehnten verbessert, sagt sie: «Doch wenn man ein Baby-Geschenk kaufen will, trifft man in der Kinderabteilung der Warenhäuser wieder vermehrt auf eine pinke Explosion.» Solche stereotypen Vorstellungen spielten in ihrem Elternhaus keine Rolle. So bekam sie zu Weihnachten ein Bergsteigerseil, um im Quartier zwischen den Bäumen ein Seilbähnchen zu installieren, während für den Bruder die Puppe bereit lag, die er sich damals gewünscht hatte. «Und mein Vater freute sich, wenn ich in der Schule gut war im Rechnen,» erzählt sie.
Dynamisch und interdisziplinär
An der Universität Bern fühlt sich die Astrophysikerin sehr wohl. «Wir haben hier ein sehr dynamisches und interdisziplinäres Umfeld», sagt sie: «Wir arbeiten eng zusammen mit den Leuten, die Sonnensystemforschung betreiben und Meteoriten analysieren.» In ihrem aktuellen Projekt versucht sie herauszufinden, warum die Gesteinsplaneten, Asteroiden und Kometen in unserem Sonnensystem eine andere Zusammensetzung aufweisen als die Sonne, obwohl alles aus derselben Wolke aus Gas und Staub entstanden ist. Man beobachtet Unterschiede bei der Zusammensetzung der Isotope, also der Atomarten, die gleich viele Protonen, aber eine unterschiedliche Anzahl Neutronen im Atomkern haben.
Mit ihrer Untersuchung der Sternentstehungsgebiete will Wampfler herausfinden, welche Prozesse zu einer unterschiedlichen Isotopenzusammensetzung führen. Dabei ist der Wettbewerb um die Beobachtungszeit an den Grossteleskopen hart. Bei ALMA beispielsweise wird nur etwa einer von zehn Anträgen bewilligt. Wird ein Vorschlag berücksichtigt, führen die Zuständigen vor Ort die Beobachtung meist ohne die Forschenden aus. Ab und zu reist Wampfler aber dennoch ans Teleskop, etwa nach Deutschland, um mit dem Radioteleskop Effelsberg in Nordrhein-Westfalen ihr Messprogramm selbst zu realisieren. «Auch wenn man dort manchmal eine 16-Stunden-Schicht schiebt, sind eigene Beobachtungen immer ein Highlight für mich», sagt die Astrophysikerin. (bva)
Dieser Artikel ist im Februar 2020 im Magazin UniPress der Universität Bern erschienen.
https://www.unibe.ch/aktuell/magazine/unipress/aktuelle_ausgabe/index_ger.html