Der Stern von Bethlehem
Haben Planeten den Drei Weisen den Weg zum Stall in Bethlehem gewiesen? War es ein Komet? Oder ist der berühmte Stern literarische Fiktion? Denn in der hellenistischen und römischen Welt war es üblich, Darstellungen von Herrschern mit einem Stern als Attribut der königlichen und göttlich bestätigten Macht zu versehen.
Von Carsten Knigge
Kinder wie Erwachsene erfreuen sich seit Generationen an der Geschichte von der Geburt Jesu, wie sie im Evangelium des Lukas im Neuen Testament der christlichen Bibel überliefert ist. Wohl kein anderer Text der christlich geprägten Welt ist besser bekannt und stärker mit dem Weihnachtsfest verbunden als diese jahrtausendealte Erzählung von Maria und Josef, deren Sohn Jesus in Ermangelung geeigneter Räumlichkeiten in einem Schafstall nahe Bethlehem auf die Welt kommt, von den Hirten, die in der Nähe zuerst vom himmlischen Licht und dann vom Gesang der Engel überwältigt werden. Im kollektiven Gedächtnis des Christentums ist diese Geschichte mit der zweiten biblischen Variante der Geschichte, derjenigen des Evangelisten Matthäus, zu einer narrativen Einheit verschmolzen. Von Matthäus erfahren wir über die drei weisen Männer aus dem Osten, die sich, von einer markanten Himmelserscheinung geleitet, auf den Weg machen, um dem neugeborenen Kind ihre Aufwartung zu machen. Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass erst die ausserbiblische Tradition der folgenden Jahrhunderte aus den Weisen „Könige“ gemacht und das Personal im Stall bei Bethlehem um „Ochs‘ und Esel“ erweitert hat.
Die Diskussion über den genauen Zeitpunkt der Geburt Jesu soll hier nicht aufgegriffen werden. Unter der Annahme, dass in den Geburtserzählungen eine tatsächlich stattgefundene Begebenheit berichtet wird, lässt sich festhalten, dass die überlieferten Geschichten etwa 80 bis 100 Jahre nach dem berichteten Ereignis entstanden sind. Es dauerte nur gut weitere 100 Jahre, bis die ersten theologischen Gelehrten der frühen christlichen Kirche (bspw. Origenes, um 230) nach Erklärungen zu suchen begannen, welches Himmelsphänomen von Matthäus beschrieben worden sein könnte. Seit der Spätantike (5. Jahrhundert) verbreitete sich die Theorie, die Weisen hätten einen Kometen gesehen, und sie hielt sich über viele Jahrhunderte. Ihren Ursprung hatte die Annahme möglicherweise im Wissen der hellenistischen Philosophen und frühchristlichen Theologen um die grossartigen Kenntnisse und Fähigkeiten der alten babylonischen Astronomen-Astrologen. Die waren bereits viele Jahrhunderte vor Christi Geburt in der Lage, Lauf und Bahn von Kometen zu berechnen. Babylonien – das war ja von Bethlehem und Jerusalem aus gesehen der Osten!
Komet Halley als Verdächtiger
Im Spätmittelalter (13./14. Jahrhundert) konnte die Theorie sogar konkretisiert werden, denn mittlerweile hatte man den Halley’schen Kometen (wieder)entdeckt und beobachtet. Man brachte ihn mit verschiedenen antiken, auch fernöstlichen Berichten in Zusammenhang und war sich einigermassen sicher, dass der ‚Stern von Bethlehem‘ mit dem um Christi Geburt tatsächlich sichtbaren Halley’schen Kometen identisch sei. In jener Zeit tauchten denn auch die ersten Gemälde (Giotto, 1302) auf, in denen über dem Stall von Bethlehem ein Schweifstern stand – eine Ikonografie, die bis in die moderne Gegenwart hinein ihre Faszination behalten hat. Dies ist umso erstaunlicher, als Kometenereignisse am Nachthimmel bis weit in die Neuzeit hinein von den Menschen nahezu aller Kulturen als Vorboten von Unglücken und Katastrophen beargwöhnt wurden. Ein Komet als Signal für die Geburt Christi und Menschwerdung Gottes mag da nicht so recht passen.
Vielleicht nicht zuletzt, um diesen Widerspruch aufzulösen, suchten nach dem Ende des Mittelalters weniger die Theologen als nunmehr die Naturwissenschaftler nach alternativen Erklärungsmodellen für den ‚Stern von Bethlehem‘. Namentlich der deutsche Astronom Johannes Kepler trieb die Hypothesenbildung für die folgenden Jahrhunderte bis in die Gegenwart an. Ausgehend von seinen eigenen Himmelsbeobachtungen, die er in den Jahren 1604/05 anstellte, postulierte er eine dreifache Konjunktion der Planeten Mars, Jupiter und Saturn, gefolgt von einer Supernova, die zum fraglichen Zeitpunkt der Geburt Jesu im Nahen und Mittleren Osten sichtbar gewesen sei. Tatsächlich fielen 1604 die Supernova und die Dreifachkonjunktion zusammen, während der von Kepler und seinen Zeitgenossen angenommen kausale Zusammenhang ein Irrtum war. So ist denn die antike Dreifachkonjunktion bis heute unbezweifelt, allerdings lassen sich für eine um Christi Geburt im Nahen und Mittleren Osten sichtbare Supernova keine Anhaltspunkte finden.
In jüngerer Vergangenheit wurde diskutiert, dass eine für die Jahre 3 und 2 v. Chr. errechnete Venus-Jupiter-Konjunktionen die Realität hinter dem ‚Stern von Bethlehem‘ gewesen sein könnte. Eine einfachere Erklärung wird ebenfalls in Erwägung gezogen: Die Venus könnte bei einem heliakischen Frühaufgang von den Weisen als symbolisches Zeichen erachtet worden sein; so könnte man das Himmelsphänomen mit der biblischen Rede vom Messias als „Morgenstern“ in Verbindung bringen. Auch die Hypothese von einer Supernova wurde zuletzt in der Bibelwissenschaft wieder aufgegriffen, freilich weiterhin ohne den astronomischen Nachweis eines derartigen Phänomens, das um die Zeitenwende im Orient beobachtbar gewesen wäre.
Letztendlich ist keine der astronomisch begründeten Hypothesen wissenschaftlich akzeptiert, da sie zu spekulativ oder die Einwände und Unsicherheiten in allen Fällen zu gross sind. Auch widersprechen sich die jeweils errechneten Beobachtungszeitpunkte zu stark, als dass sie sich auf ein und dasselbe beobachtete und in der Bibel berichtete Himmelsereignis beziehen könnten.
Der Stern als Attribut königlicher Macht
Diese Faktenlage führt zu einem zweiten Hypothesenkomplex: dem literarisch-exegetischen. Insbesondere seit Beginn des 20. Jahrhunderts beurteilen Theologen und Bibelwissenschaftler die Evangelienerzählungen nicht primär als Tatsachenberichte, sondern als Folge mythologischer und symbolischer Figuren und Handlungsstränge. Demnach sei es müssig und sinnlos, nach einer realen astronomischen Entsprechung für den ‚Stern von Bethlehem‘ zu suchen, da er nichts anderes als theologische und literarische Fiktion sei. Tatsächlich wurden im gesamten Alten Orient die Geburt oder Ankunft eines Königs mit hellen Himmelserscheinungen und dem Aufgang bestimmter Gestirne oder Sternkonstellationen in Verbindung gebracht oder sogar verglichen. In Israel wurde zur Zeit der Entstehung des hebräischen Alten Testaments die Ankunft des erwarteten Messias als „Himmelskönig“ ebenfalls symbolisch mit einem Himmelsereignis oder, wie bereits erwähnt, der Messias selbst mit einem Stern gleichgesetzt. Hinzu kommen alttestamentliche Formulierungen, denen zufolge dem erwarteten Messias bei seiner Ankunft von Königen gehuldigt und Geschenke gemacht werden würden. In dieser Tradition stehend oder direkt darauf Bezug nehmend seien die Berichte des Neuen Testaments über die Geburt Jesu geformt worden.
Aus historischer Sicht ist noch anzumerken, dass es in der hellenistischen und römischen Welt üblich war, Darstellungen von Herrschern mit einem Stern als Attribut der königlichen und göttlich bestätigten Macht zu versehen. Dies belegen unter anderem Dutzende Kaiser- und Königsbildnisse auf Münzen unterschiedlichster Prägung. Es ist also durchaus möglich, dass vom jüdischen Autor der biblischen Geburtsgeschichte eine solche Assoziation beabsichtigt war: Der Stern weist Jesus als ebenbürtig zum römischen Kaiser Augustus und judäischen König Herodes aus, oder mehr noch: als „Gegenkönig“.
Alle Erklärungsmöglichkeiten sind durchaus plausibel, eindeutig beantworten lässt sich die Frage, ob der ‚Stern von Bethlehem‘ nun Realität oder symbolhafte Fiktion war, dennoch nicht. Da es sich bei den biblischen Erzählungen von Jesu Geburt in erster Linie um literarische Zeugnisse handelt, muss man davon ausgehen, dass sie im Stil ihrer Entstehungszeit rhetorisch und poetisch gestaltet worden sind. Inwiefern hierbei der „wahre Kern“ der Geschichten um schmückende Elemente erweitert und ergänzt worden ist, lässt sich heutzutage nicht abschliessend beurteilen. Auch wenn sich einschlägige Himmelsereignisse für den Zeitraum von Christi Geburt im Nahen und Mittleren Osten rekonstruieren lassen – ob und welches konkrete Ereignis letztendlich literarisch verarbeitet wurde, kann nicht beantwortet werden.
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