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«Ich liebe es, Themen gegen den Strich zu bürsten»

«Was mache ich, wenn meine Zeit beim Forschungsschwerpunkt PlanetS abgelaufen ist?» Dies fragen sich Doktoranden und Postdocs, die wissen, wie dünn gesät die begehrten Professuren sind. Im Newsletter InsiderS stellen wir Physiker und Physikerinnen vor, die ausserhalb der Hochschule Karriere gemacht haben. Andreas Hirstein ist Leiter des Ressorts «Wissen» der renommierten «NZZ am Sonntag». «Die Physikausbildung erlaubt es, bei vielen Themen hinter die Kulissen zu schauen», sagt der Journalist, der an der ETH Lausanne doktoriert hat.

Andreas Hirstein. (Photo NZZ am Sonntag)

«Es gibt eine geniale Idee, wie man die Klimapolitik wirksam machen könnte”, erzählt Andreas Hirstein: «Reformwillige Länder sollen sich zu einem Klimaklub zusammenschliessen.» Eine CO2-Steuer innerhalb des Klubs verteuert den Verbrauch fossiler Energie. Aber der Warenverkehr zwischen den Klubmitgliedern bleibt frei, während auf Importe aus Drittstaaten ein Strafzoll erhoben wird. Dies macht den Klub stabil und motiviert gleichzeitig weitere Länder zum Beitritt. Die Idee stammt vom US-Ökonomen William Nordhaus, der am 10. Dezember in Stockholm den diesjährigen Wirtschaftsnobelpreis in Empfang nehmen wird (zusammen mit Paul Ronner, ebenfalls US-Wirtschaftswissenschaftler).

Hirstein hat den Klimaklub von Nordhaus bereits 2015 in der «NZZ am Sonntag» vorgestellt. «Ich fand das Modell überzeugend», sagt der Redaktor, der bei der «NZZ am Sonntag» für das fünfköpfige «Wissen»-Ressort verantwortlich zeichnet: «Das schätze ich an meinem Beruf besonders, dass ich mich mit Sachen beschäftigen kann, die mich interessieren.» Dabei wählen Hirstein und sein Team vor allem Themen, die eine gesellschaftliche Bedeutung haben und fragen, was die Wissenschaft dazu beitragen kann. Die Tagesaktualität überlässt das Wochenblatt anderen Medien.

Französisch als Bonus

1968 in Rheinland-Pfalz geboren, studierte Andreas Hirstein in Bonn Physik. Um Französisch zu lernen, zog er nach Lausanne und doktorierte 1998 an der EPFL. Seine Dissertation beinhaltete den Bau eines Rastertunnelmikroskops, das bei tiefsten Temperaturen im Hochvakuum und in starken Magnetfeldern stabil funktionierte. Danach machte er sich auf Stellensuche. «Der Arbeitsmarkt war damals noch viel angespannter als heute», erinnert er sich an die Zeit vor 20 Jahren, als es besonders schwierig war, einen Job zu finden. Doch schon bald stellte der Schweizerische Elektrotechnische Verein den frischgebackenen Doktor der Physik als Redaktor für seine Mitglieder- und Fachzeitschrift ein. «Es zahlte sich aus, dass ich Französisch sprach, denn dies war ein gesamtschweizerischer Verband», sagt Hirstein.

Neben der Arbeit für die Fachzeitschrift schrieb der Physiker Zeitungsartikel für ein breiteres Publikum. «Das interessierte mich mehr», erzählt er. Und fortan arbeitete er denn auch als Wissenschaftsjournalist beim Tages-Anzeiger in Zürich. Als 2002 der Verlag der Neuen Zürcher Zeitung eine Sonntagszeitung lancierte, packte er die Chance, von Anfang an dabei zu sein. 2008 wurde er zum Ressortleiter befördert. «Ich habe keine Ausbildung für den Journalismus», sagt der Physiker und gibt zu, dass ihm das Schreiben am Anfang keineswegs leicht gefallen ist: «Ich habe an jedem Satz geschraubt, was sehr mühsam war.» Wissenschaftsjournalismus beinhalte zudem eine grosse Übersetzungsleistung, die oft unterschätzt werde. In keinem anderen Ressort ist es so aufwändig, die Themen zu verstehen und für ein breites Publikum ohne Vorwissen verständlich darzustellen. «Oft packe ich ein Thema an, weil ich es selbst besser verstehen will», sagt Hirstein: «Und ich hoffe, dass es die Leser und Leserinnen ebenfalls interessiert.»

1000 Kilometer im Rückwärtsgang

Eines seiner Lieblingsthemen ist «die geplante Obsoleszenz» – «also die Behauptung, dass die Produkte von den Firmen so hergestellt werden, dass sie kurz nach der Garantiezeit kaputt gehen, damit die Leute etwas Neues kaufen – was völlig absurd ist», erklärt der Wissenschaftsjournalist. Berühmtes Beispiel ist die Glühbirne, die nach 1000 Stunden ersetzt werden muss. Hirsteins Recherche ergab, dass man problemlos eine Glühbirne bauen könnte, die 100 Jahre hält. Deren Lichtausbeute wäre aber so schlecht, dass die Stromrechnung für den Kunden viel zu hoch ausfallen würde. Bei komplexeren Produkten versuchen Ingenieure dieselbe Lebensdauer für alle Bauteile zu erzielen. «Alles andere wäre ineffizient: Es würde die Kosten des Endprodukts vergrössern und dem Kunden keinen Vorteil bringen», sagt Hirstein, der gerne moderne Legenden widerlegt. Bei Autos geht das so weit, dass man den Rückwärtsgang so auslegt, dass er nach weniger als 1000 Kilometern kaputt geht, weil er nicht für eine längere Strecke gebraucht wird.

«Ich liebe es, Themen gegen den Strich zu bürsten», sagt der Autor. Dabei kommt ihm sein Werdegang zugute: «Ich finde, dass Leute ohne viel naturwissenschaftliche Ausbildung sich oft sehr einfach in die Irre führen lassen.» Dabei seien Wissenschafts- und Technikthemen in sämtlichen Ressorts allgegenwärtig und gerade im Wirtschaftsteil von Zeitungen lese man ab und zu haarsträubende Behauptungen. «Die Physikausbildung erlaubt es, bei vielen Themen hinter die Kulissen zu schauen», stellt Hirstein fest. Allerdings fehlt auch den Wissenschaftsjournalisten immer häufiger die Zeit für Recherchen. Budgetkürzungen und Stellenabbau erschweren vielerorts die seriöse Medienarbeit. Der Redaktor zweifelt deshalb, ob er den jungen Physikern und Physikerinnen den Einstieg in den Journalismus empfehlen soll. Das Schöne am Beruf seien aber neben der Themenvielfalt auch die Begegnungen mit vielen interessanten Leuten. Dazu zählte im letzten Jahr unter anderen der berühmte Astrophysiker und Nobelpreisträger Kip Thorne. (bva)

NZZ am Sonntag
InsiderS No.15: Bettina Zahnd, Leiterin Unfallforschung, AXA

 

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